Sarek-National-Park
 
Erinnerungen an einen Tagesausflug im Januar 2001.

Ich spüre die trockene Kälte beim Einatmen der klaren, reinen Luft. Sie nimmt mir fast den Atem. Doch die unendliche Ruhe, die absolute Stille überträgt sich auf mich. Kein Vogel, kein Geräusch des Windes ist zu hören. Die Natur scheint im Tiefschlaf auszuruhen. Ich verliere das Gefühl für Zeit und Raum, lasse die Hektik des Alltags hinter mir und lebe nur im Jetzt.

Der Sarek - Nationalpark, schreibt der Reiseführer, liegt etwa 100 km südwestlich der Hauptstadt Kiruna in Schwedisch-Lappland. Er gilt als eine der ursprünglichsten Hochgebirgslandschaften Schwedens. In dieser weglosen Wildnis von etwa 5330 qkm findet man keinerlei touristische Einrichtungen und selbst im Sommer ist es gefährlich, ohne kundige Reisebegleitung diese Landschaft zu durchqueren.
Selbst der kleinste Bach kann nach schweren Regenfällen oder langem Sonnenschein im Sommer durch die Schneeschmelze zu einem unüberwindbaren Hindernis werden. Auch treten oft ganz plötzlich heftige Stürme auf.
Aber vor allem im Winter muß man mit Schneelawinen und gefährlichen Gletscherspalten rechnen. 

Im Januar geht oft erst gegen Mittag die Sonne auf und schon nach zwei bis drei Stunden wieder unter.
Temperaturen von minus 36 bis 47° C  sind dort keine Seltenheit. Doch wer die unendliche Ruhe der Natur sucht, ist hier genau richtig.

An einem sehr kalten Januartag planen wir einen Ausflug von unserem Camp am Rande des Parks in den Nationalpark zu machen. Das Ziel ist eine Erdhütte der Saamen .          

Wir, das sind die Leiter des Camps, Lotte und Ike, ein Paar aus Deutschland - und ich natürlich. Wir drei sind zur Zeit die einzigen Gäste auf diesem Camp. Ike ist ein erfahrener Nordländer, der in Alaska geboren und aufgewachsen ist und somit die Gefahren der Wildnis kennt.

 

Warum ich ausgerechnet im Winter hoch im Norden Urlaub mache, wo es so bitterkalt ist, und die Sonne nur ein paar Stunden am Tag zu sehen ist? Ich könnte doch im Süden am Strand liegen, mich in der Sonne räkeln und relaxen.  

Kann ich eben nicht! Ich mag den Süden auch, aber den ganzen Tag am Strand liegen, wäre für mich keine Erholung. Schon seit Kindesbeinen lockt es mich in die Ferne. Ich wollte schon immer Abenteuer erleben. So fahre ich gerne in ferne Länder mit ihren anderen Kulturen, um etwas von ihrer Geschichte und den anderen Lebensgewohnheiten zu erfahren. Mich fasziniert die Natur mit ihrer fremden Vegetation, ich erlebe gern die Naturgewalten anderer Klimazonen.           

In meinem Urlaub suche ich auch Ruhe und Abgeschiedenheit als Flucht vor dem Alltagstrott und Alltagstress.
Meist reise ich mit kleinen, gut geführten Gruppen, daß ich diesmal nur mit unseren Führern und einem Ehepaar in der Wildnis unterwegs war, kam meinem Wunsch nach Abgeschiedenheit sehr entgegen.

Am späten Morgen, nachdem die Huskies versorgt sind, starten wir mit zwei Snowmobils und einem Anhänger. Auch wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist, ist es nicht dunkel. Das Mondlicht, das auf dem weißen Schnee der Bäume, Sträucher und Wiesen reflektiert, verwandelt die Natur in ein angenehmes Dämmerlicht.
Ich sitze in einem Anhänger, warm eingepackt und mit einem Rentierfell zugedeckt auf dem harten Boden, wo ich jede Erschütterung der unebenen Wege spüre. Es ist ein sehr kalter Morgen, kein Wind, nicht mal ein Hauch ist zu spüren.
Im Camp, das geschützt durch  Bäume liegt, zeigt das Thermometer minus 25° C .
Nach Auskunft von Ike soll es im Park mindestens minus 36° C sein.
Erwartungsvoll und neugierig betrachte ich die verschneite Winterlandschaft  mit ihren hohen, vom Schnee gebeugten Bäumen, die unseren Weg säumen.
Vereinzelt kreuzen Spuren unseren Weg, die kleinen, flinken oben auf der Schneedecke stammen von Schneehasen, die großen, kräftigen von den schweren Elchen. Ihre Spuren sind deutlich auf unserem Weg und verschwinden erst nach einer guten Strecke wieder im Wald. Manchmal scheinen sie ganz frisch zu sein. Nach Aussage von Ike trauen sich die Elche von Zeit zu Zeit sogar in die Nähe des Camps. Leider habe ich keine gesehen.

Im Camp und in seiner näheren Umgebung sind oft zarte Vogelspuren zu entdecken. Einige Vögel bleiben selbst im kältesten Winter hier, zum Beispiel Meisen und der Unglückshäher, wie er hier in dieser Gegend genannt wird.

Lotti konnte mir auch nicht sagen, warum der Vogel, der unserem Spatzen ähnelt, diesen Namen trägt. Es ist ein kleiner, frecher, neugieriger Vogel, der vor allem    in der schwedischen Taiga zu Hause ist. Er baut sein lang herunterhängendes  Nest, das er mit Gräsern, Pflanzen und kleinen Zweigen gut isoliert in Bäume. Es muß auch innen schön warm sein, denn der Vogel brütet seine Jungen im   kalten Februar aus. Lotti konnte mir ein paar Nester zeigen, die den Sommer überstanden hatten.

Der Weg, eher die Fahrspur, die wir benutzen, wird regelmäßig von Ike mit dem Motorschlitten befahren, gerade auch nach Schneefällen. So bergen die Ausflüge, die er mit seinen Gästen unternimmt, kein Risiko, und das unerwünschte Steckenbleiben im Schnee bleibt den Gästen auch erspart. Abseits kann man nur mit äußerster Vorsicht laufen, da Tiefen und Mulden in diesem unebenen Gelände kaum zu sehen sind. Schnell reicht der tiefe Schnee bis zum Bauch oder man versinkt noch tiefer und kann sich ohne Hilfe kaum befreien.

Ich sehe kleine zarte Zweige von Büschen, hoch aufgetürmt vom lockeren Pulverschnee bedeckt, nur leicht gebeugt von dieser Last. Wie riesige Zuckerwattebällchen sehen sie aus, die vom Mondlicht bestrahlt glitzernd glänzen.
Selbst die Bäume scheinen die Last des Schnees mühelos zu tragen.
Wir fahren vorbei an schneebedeckten Wiesen und durch tief verschneite Tannenwälder. Nach einer Weile kommen wir an einen zugefrorenen, tiefer liegenden See. Ich atme keine Luft mehr, ich atme reine Kälte. Sie dringt in mich ein und läßt mich innerlich auskühlen, jeder Atemzug schmerzt ein wenig. Ich wickle meinen warmen, weichen Schal um Mund und Nase, um mich zu schützen.

Wir erreichen eine märchenhaft verträumte Uferlandschaft. Ein großer zugefrorener See erstreckt sich vor uns, den wir ohne Risiko überqueren können. Auf dem Eis liegt hoher, lockerer Schnee. Wir fahren auf der festgefahren Spur. Ab und zu ist ein knisterndes und kratzendes Geräusch vom Eis zu hören, wenn die Snowmobils mit ihren Kufen die Schneedecke zur Seite drängen.
Das Motorengeräusch der Motorschlitten stört in der wohltuenden, erholsamen Stille ein wenig. Umsäumt wird der See von dick verschneiten Bäumen.

Eingekuschelt in das Rentierfell lasse ich alles an mir vorüberziehen. Plötzlich steht ein Bild vor mir, das mich vor Begeisterung im Schlitten auffahren läßt.

Die Bäume und Sträucher sind kaum noch zu erkennen. Von ihrer schweren Schneelast umhüllt und gebeugt wirken sie wie Figuren aus einer anderen, mystischen Welt. Wo sie dicht beieinander stehen, werfen sie dunkle, düstere Schatten. Ich spüre die Einsamkeit, die Unendlichkeit und gleichzeitig eine unbeschreibliche Leichtigkeit.


Alles ist so phantastisch.

Meine Gedanken schweifen ab, mir fällt die Geschichte von Lots Frau ein. Unter Schnee und Eis haben die Bäume und Sträucher oft ähnlich bizarre Formen angenommen. Überall stehen Gestalten, scheint mir, knien, liegen oder recken sich gegen den noch vom Mondlicht erhellten Himmel.
Die unendliche Ruhe überträgt sich auf mich, längst ist die Hektik des Alltags vergessen. Ich verliere mich in der weiten, weißen Landschaft. Jeden Augenblick möchte ich festhalten, speichern für die Zeit danach. Immer wieder greife ich zu meiner kleinen Digitalkamera. Bei jeder Aufnahme merke ich, wie bitterkalt es ist.
Ich ziehe meine Hände aus den wärmenden mit Fell gefütterten Fausthandschuhen, mache ein, zwei Bilder und schlüpfe schnell wieder zurück in die rettenden ledernen Hüllen.

Vor uns erstreckt sich eine flache Landschaft. Wir befinden uns auf einer Anhöhe, von hier oben haben wir eine gute Sicht bis auf die weiter entfernt liegenden Hügel mit ihren vom Schnee bedeckten Bäumen und Sträuchern. Das Geräusch des Snowmobils stört mich nicht mehr, ich kann es ignorieren.
Der Horizont beginnt sich vor uns aufzuhellen. Schnell verwandelt sich die Dämmerung in strahlende Helligkeit. Der Himmel leuchtet im klaren Blau.
Wir sind fast am Ziel. Es ist Mittagszeit. Die aufgehende Sonne umhüllt die bisher düster wirkende weiße Winterlandschaft und erreicht mit ihren ersten Strahlen die vom Schnee umhüllten, gnomenhaften Bäume.
Unter Schnee begraben sehen wir unser Ziel, die sogenannte Erdhütte der Saamen. Unterhalb des Hügels halten wir an. Die Sonne geht auf, steht jetzt voll über dem Horizont, strahlt grell weiß und ist von einem breiten Kreis aus kräftigen Gelb und einem rosaroten Ring umgeben.

Vorsichtig erklimmen wir den Hügel. Der Schnee ist sehr locker und weich. Wir müssen bei jedem Schritt aufpassen nicht total im Schnee zu versinken.
Die Hütte schauen wir uns nur kurz an. Durch ihre Bauweise und die Isolation der dicken, umhüllenden Schneedecke herrscht in ihr eine erträglichere Temperatur. Wir sehen Schlafmöglichkeiten für mehrere Personen und einen kleinen Ofen.
Hier mit einer harmonischen Gruppe zu übernachten und am Lagerfeuer den Sonnenuntergang zu erleben, wäre bestimmt ein einmaliges Erlebnis.


Die Sonne ist am Horizont noch weiter aufgestiegen. Schnee und Eiskristalle glitzern jetzt im Sonnenlicht wie Diamanten.  

Vereinzelt überragen besonders hohe Bäume ihre schneeversunkene Umgebung wie einsame Stalagmiten.

Ich will den überwältigenden Eindruck in mich aufnehmen, wandere ein wenig auf dem Hügel umher. Ein paar Mal verliere ich das Gleichgewicht oder sinke zu tief  im Schnee ein und falle nach hinten.

Es ist angenehm, in den lockeren weichen Schnee zu fallen. Bloß das Aufstehen bereitet dann doch einige Mühe.
Nachdem wir eine Weile auf dem Hügel verbracht haben, steigen wir durch den tiefen Schnee vorsichtig wieder hinab zu unserem Snowmobil. Ein wenig wandern wir noch umher, jeder für sich auf den festgefahrenen Spuren. Ich bleibe immer wieder stehen und lasse die Stille, das herrliche Naturschauspiel noch auf mich wirken.

Beim Laufen knirscht der zusammengepreßte Pulverschnee unter meinen Füßen.

Unser Ausflug geht zu Ende. Glücklich und entspannt steige ich wieder auf den Anhänger des Snowmobils und mache es mir, eingehüllt in mein Rentierfell, so gut es geht gemütlich.
Es geht  zurück zum Camp. Der Motorschlitten mit dem Anhänger, auf dem ich mich befinde, fährt wieder voraus. Die andere Familie folgt auf ihrem Snowmobil.
Wieder achtet Ike darauf, daß der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen nicht zu groß wird, damit er bei Bedarf zur Hilfe eilen kann.

Nach etwa einer halben Stunde Fahrt bemerke ich, wie Ike etwas unruhig wird. Er wundert sich, wo das andere Snowmobil mit seinen Gästen geblieben ist. Sie sind nicht mehr zu sehen. Wir halten an und warten.

Zehn Minuten später, noch immer ist von dem Motorschlitten nichts zu sehen, geht er den Weg zurück, um Ausschau zu halten. Wir folgen ihm, dann, nach einem großen Stück des Weges, sehen wir sie. Etwas hilflos und nervös stehen sie am Weg. Ihr Motorschlitten liegt verlassen neben dem Weg, tief im Schnee versunken. Aufgeregt erzählen sie, daß sie in der Kurve vom Weg abgekommen sind und der Schlitten sofort im tiefen Schnee versunken ist. Sie waren hilflos, denn sie schafften es nicht, das schwere Fahrzeug wieder auf den Weg bekommen. Fast bis zum Sitz steht es da versunken im Schnee.

Ike beruhigt beide. Für ihn ist es kein großes Problem, er kennt solche Situationen. Er erklärt dem anderen Gast, einem großen kräftigen Mann, wie und wo er anfassen muß.
Zu zweit schaffen sie es dann in Etappen und mit der richtigen Technik in ruckartigen Bewegungen das Snowmobil wieder auf die Fahrspur zu bringen.

Nach diesem kleinen Zwischenfall, der uns noch einmal die Möglichkeit gab, ein Stück durch die verschneite schöne Winterlandschaft zu laufen, geht es auf direktem Wege zurück.

 

Im Camp angekommen springt jeder erst mal unter die heiße Dusche, und dann wärmen wir uns am Kamin im gemütlichen Wohnzimmer auf. Es gibt eine   kräftige, schmackhafte Gemüsesuppe, und die Kälte da draußen ist schon fast vergessen.
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